Saint-Flour
 
     
   
     
     
     

 

 

 

 

 
   Markt
 
 
     
 

Markt in Saint-Flour

 

 

 
 

Markttag in St. Flour.

Ein Reisebericht aus dem Jahre 1952.

 

Die Sonne weiß, was sie diesem Ereignis schuldig ist. Ganz Frankreich liegt unter blauem Himmel. Genug der Ehre für St. Flour.

In den Gassen geht es hoch her. Der schwarze Kittel beherrscht den weiten Platz vor der Kathedrale. Die Luft ist erfüllt von Gelächter und Zurufen. Bei Gott - man trifft sich nicht alle Tage! Das will gefeiert werden.

Die kleinen Kaffeehäuser und Restaurants sind besetzt bis auf den letzten Platz. Das Weitere mag Madame besorgen.

Und das Weitere besorgt Madame. Darauf kannst du dich verlassen.

Man wird uns nicht nachsagen können, dass wir uns für weibliche Kleidungsstücke über das Maß des Üblichen hinaus interessieren. Das kann uns aber nicht daran hindern, Madame Suzanne beim Einkauf ihres Korsetts Gesellschaft zu leisten. Aus achtungsvoller Entfernung natürlich. Wir leiden entsetzlich. Gemeinsam mit Madame Suzanne.

 

Niemals vorher sahen wir eine derartige Fülle liebreizendster Erzeugnisse der abendländischen Textilindustrie. Da gibt es kleine Korsette und da gibt es große Korsette, da gibt es einen Rücken­ und einen Seitenverschluss, da gibt es Bänder und Haken und Schnallen. Welch prächtiges Durcheinander von roten, rosa und lila Farben! Immer gleich dutzendweise gebündelt, sonst wäre der Spaß nur halb so schön.

Mit zitternden Händen durchfliegt Madame Suzanne das lockende Wunder. Zu ihren Seiten türmen sich die bunten Berge. Und wenn sie dann endlich glaubt, das Richtige gefunden zu haben - dann lugt zu unterst just in diesem Augenblick die anmutigste aller Modeschöpfungen hervor! Moiree mit Schleifen!

Die Turmuhr bestätigt uns, dass Madame Suzanne und wir eine geschlagene halbe Stunde leiden. Schon aber naht die Erlösung. Hellrosa und von vollkommener Grazie. Schnell noch einmal um die Hüften gelegt - es sitzt! Und steht ihr entzückend.

Das Frankstück klappert in die Kasse.

Und Madame Suzanne wird zum nächsten Markttag um einige Zentimeter schlanker erscheinen.

In der Rue Marchand geht es nicht weniger lebhaft zu. Dort haben die Bäuerinnen aus den Tälern der Auvergne ihren Stand. Dazu braucht man natürlich keinen Tisch und kein Zelt. Es genügt ein Korb - groß genug, um eine Kaninchenfamilie oder drei fette Hähne zu fassen.

Was uns besonders auffällt? Dass man Zeit hat. Unendlich viel Zeit. Es ist ja Markttag. Und Markttag ist Festtag.

Nichts wird "so nebenher" gekauft. Beileibe nicht - das wäre eine Geringschätzung der Ware. Und der eigenen Schlauheit.

Jedes Huhn wird genießerisch abgetastet, jedes Kaninchen an den Ohren hochgehalten und einer erbarmungslosen Kritik unterzogen. Schön sieht er aus, euer Käse, das muss man sagen - aber wie schmeckt er? Das weiß man erst, wenn ein Eckchen "zur Probe" abgeschnitten und verspeist wurde.

Langsam und mit ernster Miene. Man will doch wissen, was man nach Hause bringt!

Die Masse gerät in Bewegung. Käufer und Verkäufer schieben sich geschlossen der Häuserfront zu. Was los ist? Nicht der Rede wert - ein Lastauto zwängt sich mit ohrenbetäubendem Gehupe durch die Gasse. Kein Grund, sich umzudrehen - er wird's schon schaffen. Und wenn nicht: nun, dann möge der Fahrer es sich getrost zwischen den Mannsleuten bequem machen. Ein Cafe noir wird ihm bestimmt nicht schaden. Heute ist Markttag in St. Flour.

Und was für ein Markttag. Bei Gott - er kann sich sehen lassen weit und breit. Da gibt es Süßigkeiten und Butter, Hosen und Keks, Strümpfe und Weintrauben. Und einen schier unermesslichen Tisch, beladen mit Hüten.

Schwarz und tief grau für das gesetzte Alter - dunkelrot und olivgrün für die leichtsinnige Jugend. Sagen Sie selbst, mein Herr: was ist schöner, als mitten auf dem Kirchplatz Stück für Stück aufzuprobieren? Man hat Zeit und die Sonne lacht. Die Verkäuferin hält inzwischen den Spiegel.

Unruhe vor der Librairiel. Ein Ochsengespann bahnt sich mühsam seinen Weg, der zwei rädrige Karren ist breiter, als man denkt. Da bleibt nichts andres übrig, als in aller Eile das Pflaster von den vollkommensten aller Kunstwerke zu befreien.

Das muss man sagen: es sind Kunstwerke besonderer Art, man muss behutsam umgehen mit ihnen Hänsel und Gretel, ein Fußballspieler, ein Hund in Gold und eine Diana in Grün verschwinden unterm nächsten Tisch. Schwerfällig schieben sich die Ochsen vorbei an den funkelnden Herrlichkeiten.

Der Briefträger wirft die leere Tasche auf den Rücken, die Polizei genehmigt sich eine neue Zigarette, wie eine Fledermaus huscht ein schwarzer Radmantel über den Platz.

Freundlich blickt die Kathedrale auf das Gewimmel zu ihren Füßen. Sie ist guter Dinge, wie seit Jahrhunderten. Es ist ja Markttag.

Markttag in St. Flour.