Der Walzer in Frankreich

 

 

  Der Walzer      

 

 

Der Walzer

 

eine Seelenchronik Europas

von Paul Bachmann

Die Anfänge des Paartanzes im Dreivierteltakt finden sich in der Zeit der Renaissance.

Die Geburtsstätte der Volte, die das «Walzen», das heisst das Drehen, nicht nur in ihrem Namen vorwegnahm, ist die französische Provence.

Ihre ersten Zeugnisse gehen zurück auf das Jahr 1178, ihr choreografischer Chronist ist Thoinot Arbeau, der in seiner «Orchésographie» aus dem Jahr 1589 auf ihre Unsittlichkeit hinwies: «Ie vous laisse à penser si c`est chose bien séante à une jeune fille de faire grands pas et ouverture de iambes» («Ich überlasse es Ihnen zu entscheiden, ob es sich für ein junges Mädchen schickt, grosse Schritte zu machen und die Beine zu spreizen»).

Ein anderer Chronist, Johann von Münster, wurde noch deutlicher («Ein Gottseliger Tractat von dem ungottseligen Tanz», 1594): «Unfletiger Tanz, la volte geheissen in einen wirbel herumb fliegen.

In diesem Tanzt nimpt der täntzer mit eine Sprung der Jungfrau – die auch mit einem hohe Sprung / Auss an leytung der Musik / heran komt – wahr und greiffet sie an eine ungebührlichen ort da sie etwas von holtze oder anderer Materien hat machen lassen / un wirft die Jungkfrau selbst / und sich met ihr / etlich vil mal sehr künstlich und hoch uber die Erden herumb also auch / dass der Zuseher bissweilen meinen sol / dass der Täntzer mit den Tänzerinnen nicht wider zur Erden kommen können: sie haben dann beyde ihre Hälse und Beine zubrochen.» Frühbarock-Rock-’n’-Roll, sozusagen.

Der berüchtigte Jurist Jean Bodin l’Angevin weiss uns in seinem Traktat «De la démonomanie des sorciers» (1593) sogar zu berichten, wo und zu welchem Zweck die Volte getanzt wird: «il ne se faict point d’assemblée oú l’on ne danse». Bei den Hexen nämlich. «Elles disoyent en dansant har, har, diable, diable, saute icy, iouë icy, iouë là.

» Manche Tänzer entgingen nur dank der Fürsprache besonnener Kleriker der Exkommunikation, weniger gut hatten es diejenigen, deren Leidenschaft auf dem Scheiterhaufen zu kühlen versucht wurde.

Während der Französischen Revolution von 1789 schuf sich die Lust am Paartanz im Dreivierteltakt jedoch mit unbändiger Kraft wieder Raum: Die verwaisten Pariser Klöster – seine früheren Bewohner waren um Köpfe kürzer gemacht worden – dienten als Tanzsäle. Man tanzte im Hof von Saint-Sulpice inmitten der Gräber.

Die Altäre ächzten unter der Last der bäuerlichen Bankette. Und Napoleon brachte Europa in der Folge nicht nur die Ideen von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, genauso exportierten seine Armeen ein anderes Produkt der Revolution: das aus der Verbannung durch die Kirche wiederauferstandene Walzen.

Über die Urheberschaft für den eigentlichen Wiener Walzer streiten sich französische und deutsche Musikhistoriker, wobei nationalistische Gefühle eng mit entsprechenden Theorien verbunden sind.

Nach Klingenbeck («Unsterblicher Walzer», Wien 1943) ist das berühmte Lied «Oh du lieber Augustin, alles ist hin» aus dem 17. Jahrhundert das erste Walzerzeugnis.

Der Name «Walzer» selber geht vermutlich auf ein Lied in einer Komödie von Josef Kurz aus dem Jahr 1754 zurück:

Bald Singen, bald Springen
Bald sauffen bald ranzen.
Bald spielen und tanzen,
Bald steirisch, bald schwäbisch,
Hanakisch, slowakisch,
Bald walzen umatum
Heissa rum-rum.

Den ersten eigentlichen Walzer wollen verschiedene Autoren in der Oper «Una cosa rara» von Vincent Martin entdeckt haben, die Mozarts «Figaro» 1787 im Theater an der Wien verdrängte. Zu einem Massenphänomen wurde er im deutschen Sprachraum jedoch sicherlich erst dank den napoleonischen Umwälzungen.

Wien 1815. Der Kongress tanzt: Der europäische Walzerraum, das ist der Ballsaal.

Die Abgeordneten aus ganz Europa tanzten den Walzer des selbstbewusst gewordenen Bürgertums.


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Geschäftsleiter Codex flores Onlinemagazine

 

 

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