Buis-Les-Baronnies
 
 
 
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Bericht über Buis-Les-Baronnies

 

 

 

 

 

 

Stille Sommertage im Garten der Düfte

Provence: Nicht nur die violetten Lavendelfelder prägen die südfranzösische Provinz - Ein Besuch bei den letzten Lindenbauern zur Erntezeit

Von Ingrid Ostheeren

Buis-les-Baronnies - Weltberühmt ist die Provence für ihre Lavendelfelder - jene duftenden Teppiche der ursprünglich aus Persien stammenden Heilpflanze, die im Sommer ganze Landstriche verzaubert. Doch in der sonnendurchglühten südfranzösischen Provinz gedeiht beileibe nicht nur Lavendel - rundum in der abwechslungsreichen Natur- und Kulturlandschaft riecht es betörend nach Harz und blühendem Ginster, nach Fenchel, Rosmarin und Thymian, und allgegenwärtig ist auch der süße und schwere Duft der Lindenblüten.

Der alte Bauer, der hoch oben in der stämmigen Linde sitzt, heißt Louis Coupin. 75 Jahre ist er alt, und er ist nicht etwa aus Übermut ins Geäst geklettert und auch nicht zum ersten Mal. Wie jedes Jahr haben sich seine Frau und seine Schwägerin mit Körben im Schatten unter dem Baum zurechtgesetzt, und er hat seufzend die Leiter aufgestellt. Denn jetzt im Juni, noch bevor die filigranen Sternenwedel der Blüten zu runden Samenkapseln werden, ist Erntezeit. "Provinz der Düfte" wird das Pays du Buis am Fuß des Mont Ventoux oft genannt, wo auf Hügeln und Hängen enge, graue Steindörfer nisten, in deren Mitte auf verträumten Plätzen Brunnen hell plätschern.

Ein stilisiertes Lindenblatt ziert das Wappen des hübschen Städtchens Buis-les-Baronnies, wo auch Louis seinen Hof hat. Die Bewirtschaftung hat er weitgehend aufgegeben, nur den Olivenhain auf dem Weg nach Nyons, dem Zentrum des regionalen Olivenanbaus, betreut er noch immer selbst. Und natürlich seine Linden. Tatsächlich steht die Region ganz im Zeichen der Linde. Rund 30 000 Bäume der Tilia platyphyllos, vorrangig der erstklassigen Zuchtsorte "Benivay", geben der Landschaft ihr eigentliches und unverwechselbares Gepräge. Sie säumen die Straßen, stehen in den Gärten, in Wiesen und entlang der Felder, ballen sich zu kleinen Hainen am Ortsrand. Anders als in Deutschland, wo die Linde als Solitär ungestört in den Himmel wächst, bis zu 40 Meter hoch wird und ein wahrhaft biblisches Alter erreicht, ist die Linde hier seit Anfang des 19. Jahrhunderts schon ein traditioneller Wirtschaftsbaum. 150 Tonnen Lindenblüten pro Jahr, rund ein Drittel der französischen Gesamternte, kommen aus den Baronnies und gehen zum Großteil als wertvolle Heilpflanze an die Pharmaindustrie. Geerntet freilich wird nur noch von den Alten - die Jungen sehen da kein Geschäft, zu groß ist die Konkurrenz aus Osteuropa und China, zu billig deren, zugegeben, weit minderwertigere Ware.

"Wen kümmert aber heute noch Qualität?" klagt Louis oben im Geäst, während die Frauen unten in milder Gleichmut die Blüten von den Zweigen zupfen, die er auf sie hinabregnen läßt. Louis und die anderen Bauern sehen sich heute in erster Linie als aktive Landschaftspfleger. Der strenge Baumschnitt verleiht nämlich den Linden die klassische Kugelgestalt und hält sie niedrig wie Obstbäume, zum Vorteil der Pflücker und auch der Blüten, die dadurch mehr Sonne abbekommen und üppiger gedeihen. Im Tuch aus Sackleinen, dem bourras, werden sie gesammelt. Durch Verknoten der Ecken wird es für den Transport zum Ballen verschnürt. Vier Kilogramm süßduftender Blüten ergeben nach dem sorgfältigen Trocknen im Schatten von Tennen und Speichern ein Kilogramm hochwertiger Ware. 35 Linden besitzt Louis, alle an die hundert Jahre alt. Weil er sich keine Erntehelfer leisten kann, die ihm die beschwerliche Arbeit abnehmen, erntet er nur noch 60 bis 70 Kilo jährlich. "Solange es die Gesundheit erlaubt", lächelt er, und fügt hinzu, dass es nicht das Geld ist, das ihn die Bäume treibt. Mehr als 60 Francs lässt sich für ein Kilo trockener Blüten nicht erzielen. Doch der Baumschnitt muss gemacht werden, weil die Linde sonst verwächst. Louis deutet auf ein zotteliges hohes Exemplar drüben am Ackerrain. Das sehe häßlich aus, meint er brummend, und seine Damen stimmen ihm bei.

Die Alten, die mit ihrer Hände Arbeit das Gesicht der Landschaft seit Jahrzehnten geprägt haben, fühlen sich nach wie vor zum Lindenschnitt verpflichtet. Wenn sie aufgeben, wird sich die Natur die Äcker und Wiesen, die Bäume und Haine zurückerobern. Etwas anderes, etwas Neues, wird entstehen. Das erfüllt die Alten mit Sorge. Aus dieser Sorge wurde 1986 die "Confrérie des Chevaliers du Tilleul des Baronnies" gegründet - um Buis-les-Baronnies herum, die Hochburg des Lindenbaumes, wollen die Ritter der Lindenblüte den Baum schützen und bewahren, der einst bei den Kelten als Symbol der Weiblichkeit, der Liebe und der Freiheit galt.

In den Mittagsstunden, die den Provenzalen heilig ist, sind nur noch die Bienen geschäftig in den Linden zuwege. Die Leitern ragen verwaist ins Geäst. Louis sitzt zu Hause mit seiner Frau vor dem Bauernhaus am Ortsrand von Buis und nippt an einem Wasserglas, randvoll mit hausgemachtem, milchig-grün schillerndem Pastis, der streng nach Anis schmeckt. 350 Kilo habe er früher alljährlich auf den Markt gebracht, schwärmt er, die graue Schirmmütze weit auf den Hinterkopf geschoben, während er zwischen schwieligen Fingern sorgsam Tabak in maisgelbes Zigarettenpapier rollt. Jetzt verlangen sogar Schwarzarbeiter mehr, als man für die Ernte bekommt.

Ob Louis, Jacques oder Martin, all die alten Bauern, mit denen wir uns unterhalten, sind sich einig, dass die malerische Region sich immer mehr und immer radikaler verändern wird, wenn sie einmal nicht mehr ihrem Gewerbe nachgehen können. Sie sehen sich als die letzten Hüter dieser Landschaft, als Garanten ihrer eigenwilligen, von Menschenhand geprägten Ästhetik, die Natur und Kultur zu betörender Einheit verschmilzt. Freilich wissen sie um die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen. Die Zeit ist gegen sie. Eines Tages werden sie nicht mehr sein. Die Linden werden auswachsen, verwildern, wüst und rau. Sie werden ungebührliche Schatten über die Wiesen werfen.

Aber noch feiert man am ersten Mittwoch im Juli in Buis-les-Baronnies den Lindenmarkt, den "Foire internationale du Tilleul". Noch gibt es kaum etwas Schöneres, als im Schatten einer Linde zu rasten und ihren Duft zu genießen.